Im Rahmen der Pensionierung von Erwin Ruedisuehli haben wir die Gelegenheit genutzt, mit ihm auf seine beeindruckende Karriere zurückzublicken, insbesondere auf seine Zeit bei Bühler + Scherler AG. Von seiner Lehre über anspruchsvolle Herausforderungen im Ausland bis hin zur Leitung nationaler und internationaler Projekte – seine beruflichen Erfahrungen sind vielfältig und inspirierend.
Was hast du vor deiner Zeit bei Bühler + Scherler gemacht?
Ich begann meine Berufslaufbahn mit einer vierjährigen Lehre als Elektromonteur in St. Gallen und leistete danach meinen Militärdienst ab. Anschliessend installierte ich drei Jahre lang Telefonanlagen unteranderem für Spitäler. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung unterschrieb ich dann einen Vertrag bei Cerberus (heute Siemens), um im Bereich Brandmelder und Einbruchsanlagen zu arbeiten. Die Stelle habe ich jedoch nie angetreten.
Wie hat deine Karriere bei Bühler + Scherler begonnen?
Ich war Präsident und Trainer des Judo Clubs St. Gallen, und der damalige Geschäftsleiter von Scherler, Werner Buob, hatte drei Töchter bei uns im Club. Als er erfuhr, dass ich Elektriker bin, wollte er mich für das Ingenieurbüro Scherler gewinnen. Zu dieser Zeit hatte ich jedoch bereits einen Vertrag bei Cerberus unterschrieben und musste ihnen dann leider mitteilen, dass ich die Stelle doch nicht antreten werde. So unterschrieb ich 1982 einen Anstellungsvertrag bei Scherler und begann im April 1983 an der Zürcherstrasse 511 zu arbeiten. Im darauffolgenden Jahr entstand dann das Joint Venture zwischen dem Ingenieurbüro Scherler und Bühler, welches den Beginn von Bühler + Scherler markierte.
Du wurdest damals für die Steuerungsabteilung eingestellt. Wie kam es, dass du nach Algerien entsandt wurdest?
Ursprünglich wurde ich tatsächlich für die Steuerungsabteilung eingestellt, doch bereits Anfang Mai wurde ich nach Touggourt in Algerien entsandt, um in einer neuen Getreidemühle sechs Betriebselektriker auszubilden. Ich hatte seit sieben Jahren kein Französisch mehr gesprochen und den Intensivkurs in St. Gallen konnte ich auch nur für einen Monat besuchen, da ich bereits vorzeitig abreisen musste. Die Umstände vor Ort waren ganz anders als jene in der Schweiz und ich als Schweizer bin natürlich aufgefallen. Es gab zum Beispiel mehrheitlich Beduinenzelte und keine gemauerten Häuser. Auch Wasser war dort keine Selbstverständlichkeit.
Nach meiner Rückkehr übernahm ich die Offertabteilung für Bühler-Projekte. Der Verkauf in England von speziellen Turn-Key Projekten mit Vollmontage verlief sehr erfolgreich, und so kam es, dass ich von 1992 bis 1997 Direktor unserer neuen Filiale in England Brookshaw Stuart International wurde, wobei ich Projekte für Bühler und auch für andere Kunden betreute. Während dieser Zeit lebte ich sechs Jahre in Chelmsford, UK, und war für Marktgebiete in England, Schottland, Wales, Nordirland und Irland zuständig.
Als ich wieder in St. Gallen war, baute ich Beziehungen zu Bühler-Aussenstellen in Braunschweig, Minneapolis, Johannesburg und Joinville auf. Im Jahr 2000 übernahm ich die Leitung des ganzen Internationalen Bereichs, heutigen IP. Es folgte der Aufbau von Elektroplanungs- und Installations-Teams in Johannesburg und Minneapolis, was sich allerdings nicht bewährte und wieder eingestellt wurde.
Ab circa 2010 begann ich mit dem Aufbau des Marktes in Südostasien, was sich als sehr erfolgreich erwies. 2017 starteten wir mit Diskussionen über die Gründung einer Tochterfirma in Brasilien was dann 2020 umgesetzt wurde. Danach folgten ähnliche Initiativen in Indien und Amerika. Diese Standorte starteten 2023/2024 erfolgreich.




Was waren die grössten Herausforderungen, denen du dich während deiner Zeit in der Firma stellen musstest?
Einer der grössten Herausforderungen war es, uns bei all unseren Projekten stets gegen die lokale Konkurrenz zu behaupten. Dies gelang uns nur dank unseres technischen Vorsprungs, unserer Prozesskenntnissen, moderner und intelligenter Lösungen sowie der Automatisierung unserer Tools.
Eine weitere erhebliche Herausforderung ergab sich zu Beginn der Corona-Pandemie. Alle Verkaufsverhandlungen mussten über Teams durchgeführt werden, was extrem schwierig war. Die Kunden sprachen oft nicht Englisch als Muttersprache und trugen Masken, wodurch die Mimik nicht erkennbar war. Es fühlte sich oft wie ein Blindflug an.
Kurz vor dem Lockdown gründeten wir Bühler & Scherler Brasilien, was uns vor sehr grosse Herausforderungen stellte, insbesondere auch für unsere Mitarbeiter vor Ort in Brasilien. Selbst die Eröffnung eines Bankkontos war zu dieser Zeit eine grosse Herausforderung.
Gibt es ein bestimmtes Projekt, auf das du besonders stolz bist und wenn ja wieso, was war ausserordentlich?
In den vergangenen 42 Jahren hatte ich das Privileg, an zahlreichen bemerkenswerten Projekten zu arbeiten. Zwei dieser Projekte sind mir besonders in Erinnerung geblieben und ich möchte sie hervorheben.
Das erste Projekt war die Multi-Food Anlage in Lae, Papua-Neuguinea, bei dem der Kunde Goodman Fielder aus Australien, Teil der Wilmar International, mich bat, die Verhandlungen für die gesamte Energieversorgung dieser Anlage zu führen, die eine Leistung von etwa 7,5 MVA benötigt. Aufgrund der Grösse der Anlage entschied man sich für eine Mittelspannungsversorgung. Zusätzlich verfügt die Anlage über einen Diesel-Generator als Backup für die gesamte Leistung. Unser Team war verantwortlich für das komplette Engineering der Energieversorgung, Erdung, Prozessinstallation und Beleuchtung. Zudem lieferten wir die benötigten Materialien und stellten einen Baustellenleiter. Die logistischen Herausforderungen waren erheblich, da die Anlage am anderen Ende der Welt liegt und allein die Reise 52 Stunden in Anspruch nahm. Bei meinen drei Besuchen vor Ort verbrachte ich bei einem Tripp von 10 Tagen insgesamt vier Nächte im Flugzeug.
Ein weiteres herausragendes Projekt war unsere langfristige Zusammenarbeit mit Swissmill in Zürich (Teil der Coop Genossenschaft). Über 20 Jahre hinweg waren wir für alle elektrischen Installationen bei Swissmill verantwortlich. Ein besonders anspruchsvolles Projekt war der Austausch der gesamten Mittelspannungs-Anlage während eines Osterwochenendes. Ein Mitbewerber offerierte eine Projektdauer von 8 Wochen in 9 Umbauschritten inkl. Provisorien für die Arbeit, wir realisierten das komplette Projekt schlussendlich in drei Tagen. Darüber hinaus begleiteten wir den Neubau des 118 Meter hohen Kornhauses während des laufenden Betriebs, was ebenfalls äusserst herausfordernd und spannend war.




Du warst viel auch im Ausland unterwegs, welches Land hat dich am meisten fasziniert oder vielleicht sogar am meisten überrascht?
Das ist eine schwierige Frage. Jedes Land, ohne Ausnahme, hat seine eigene Faszination, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Es ist schwierig, die Wüste von Saudi-Arabien, Jemen oder Oman mit Ländern wie Thailand, Myanmar, den Philippinen oder Indonesien zu vergleichen. Besonders beeindruckend fand ich den sichtbaren Fortschritt, den diese Länder gemacht haben, wenn man nach einigen Jahren wieder dorthin zurückkehrt. Überall haben mich die Menschen fasziniert, die ich getroffen habe, und die vielen Freundschaften, die daraus entstanden sind.
Wie haben sich die Geschäftsreisen verändert, seit du angefangen hast?
Die Geschäftsreisen haben sich seit meinem Anfang enorm verändert. 1983 gab es noch keine Computer, kein Internet, keine Handys, kein GPS und nicht einmal Faxgeräte. Nur Telex war verfügbar. Alle Unterlagen mussten in Papierform mitgenommen werden, und das oft kofferweise. Als ich das erste Mal nach Algerien geflogen bin, stand nicht einmal mein Name auf dem Flugticket.
Heute hingegen reist man mit einem E-Ticket, einem Handy und einem Laptop. Bei jedem kleinsten Problem kann man zu Hause anrufen und erhält sofort Unterstützung. Man muss bedenken, dass ich damals in Algerien jeweils bis zu 2,5 Stunden warten musste, um eine Telefonverbindung in die Schweiz zu bekommen. Da überlegte man sich natürlich mehrmals, ob ein Anruf wirklich notwendig war.



Welche Trends und Entwicklungen in der Branche hast du als besonders bedeutend empfunden?
Die Physik der Elektrotechnik ist dieselbe geblieben, aber fast alles andere hat sich mehr oder weniger verändert. Früher rechnete und entwarf man alles von Hand, und die Zeichnungen wurden manuell mit Tusche angefertigt. Mit der Einführung von Computern und Berechnungsprogrammen wurde alles viel einfacher. Elektrische Komponenten sind kleiner und sicherer geworden, und die Durchlaufzeiten von Projekten haben sich erheblich verkürzt.
Kannst du uns eins deiner Highlights aus deiner Zeit bei Bühler + Scherler erzählen?
Wie bereits erwähnt, gab es in dieser Zeit viele Höhepunkte, aber das grösste Highlight für mich war die Gründung der drei Tochtergesellschaften in Brasilien, Indien und Amerika, bei denen ich massgeblich mitwirken durfte.
Mit all den Erfahrungen und Erinnerungen, die du in den letzten 40 Jahren gesammelt hast, was nimmst du davon mit in deinen Ruhestand?
Ich glaube, das Wichtigste, das ich in dieser Zeit gelernt habe, ist Geduld, Respekt und Toleranz gegenüber allen meinen Mitmenschen, unabhängig von deren Herkunft oder Art. Und ich habe gelernt, was das Ausserordentlichste an der Schweiz ist, die Ausgeprägtheit der Vierjahreszeiten, aus diesem Grund kann und will ich auch nur noch in der Schweiz wohnen. Die Teamarbeit war ein weiterer wesentlicher Aspekt, der mir in Erinnerung bleiben wird. Über all die Jahre hinweg habe ich die fantastische Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen von Bühler + Scherler, aber auch von den Bühler Teams weltweit, sehr geschätzt. An dieser Stelle möchte ich ihnen von Herzen nochmals für ihren unermüdlichen Einsatz und die gute Zusammenarbeit danken. Nicht zu vergessen, das Vertrauen, die Förderung und die Unterstützung unseres Geschäftsführers und dem Verwaltungsrat, auch ihnen ein herzliches Dankeschön.
Du bist jetzt seit letztem Oktober pensioniert, was sind deine Pläne für den Ruhestand?
Bis jetzt hatte ich noch nicht richtig die Gelegenheit, anzukommen. In den letzten Jahren habe ich jedoch die Zeit für die Natur und Fitness vernachlässigt. Es ist natürlich auch schön, mehr Zeit für die Enkel zu haben.